Bereits im Jahr 2021 erschien aus Anlass des 50-Jahr-Jubiläums des Inkrafttretens des Kunsthochschul-Organisationsgesetzes (KHOG; BGBl 54/1970) ein bemerkenswertes Buch über die Geschichte der Kunstuniversitäten Österreichs, bei welchem Vertreter*innen aller (vier) Archive der Kunstuniversitäten als Herausgeber*innen fungierten:

  • Herausgeber*innen: Susanne Prucher, Silvia Herkt, Susanne Kogler, Severin Matiasovits, Erwin Strouhal
  • Titel: Auf dem Weg zur Kunstuniversität: das Kunsthochschul-Organisationsgesetz von 1970 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Universität Mozarteum, Band 15)
  • Verlag: Hollitzer Verlag, Wien 2021
  • ISBN: 978-3-99012-928-9
  • Seiten: 359

Diese vier Kunstuniversitäten sind die Universität Mozarteum, die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW), die Kunstuniversität Graz (KUG) sowie die Universität für angewandte Kunst Wien. Im Vorwort bringen die Herausgeber*innen die Absicht, die hinter dieser Publikation steht, prägnant auf den Punkt:

Diese Publikation soll das Ringen der Kunst um ihre gesellschaftliche Positionierung widerspiegeln. Die Frage nach der Bedeutung von Kunstuniversitäten und ihrer Stellung im öffentlichen Leben wird laufend neu gestellt und definiert, denn im weltweiten Wettbewerb der tertiären Bildungseinrichtungen bedarf es der permanenten Aufmerksamkeit, um auf die steten Herausforderungen visionäre Antworten zu finden.

An den Beginn des Werks stellen die Herausgeber*innen eine sechs Seiten und den Zeitraum 1816 bis 1970 umfassende Timeline, in der die Entstehung der vier Kunstuniversitäten (jeweils einzeln in einer eigenen Farbe) und deren wichtigste Entwicklungsstationen anschaulich dargestellt werden.


Im ersten Kapitel, das die Überschrift „Vorgeschichte(n)“ trägt, gibt Freia Hofmann einen knappen Überblick über die Institutionalisierung der Musiker*innenausbildung (v.a.) im deutschsprachigen Raum, die kurz nach dem Ende der französischen Revolution ihren zeitlichen Anfang nahm und die ersten Konservatorien moderner Prägung hervorbrachte. Der zweite Beitrag des Kapitels von Erwin Strouhal schließt hier thematisch nahtlos an und zeichnet unter dem Titel „Musikalische Hochschulen – Utopien des 19. Jahrhunderts“ ein detailgenaues Bild der Weiterentwicklung des Konservatoriums Wien zur Akademie für Musik und darstellende Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Severin Matiasovits zeigt in seinem Beitrag am Ende des ersten Kapitels deutlich, dass die Universitätswerdung der heutigen Kunstuniversitäten nicht nur von positiven Entwicklungen geprägt war und beleuchtet das Scheitern des kurzlebigen Versuchs in den 1920er Jahren, die Ausbildung in Wien auf eine Fachhochschule (zur „höchsten künstlerischen Ausbildung“) und die Akademie (zur künstlerisch-praktischen) aufzuteilen.

Das zweite Kapitel trägt die Überschrift „Aus den Akademien werden Hochschulen“. In vier umfassenden Beiträgen, die den Mittelpunkt und das Herz der Publikation bilden, widmen sich die Autor*innen Susanne Prucher, Susanne Kogler, Severin Matiasovits und Silvia Herkt der Hochschulwerdung der einzelnen heutigen Kunstuniversitäten durch das KHOG, die daraus resultierenden internen Reformprozessen, Entwicklungen und Diskussionen. Der fünfte und letzte Beitrag des Kapitels, verfasst vom langjährigen (1975-2009!) Rektorats- bzw Universitätsdirektor der MDW, Heinz P. Adamek, gibt einen umfassenden Überblick der gesetzlichen Grundlagen der Kunstuniversitäten vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Inkrafttreten des UG 2002.

Unter dem Titel „Vielfältige Entwicklungen – Neue Perspektiven“ beschließt das dritte Kapitel die Beiträge des Bandes, in welchem die Auswirkungen der damals neuen Strukturen – insbesondere die Gleichwertigkeit von Kunst und Wissenschaft – auf die einzelnen Häuser beleuchtet werden. Julia Mair widmet sich dem inneren Aufbau der KUG und der Entwicklung der Spezialforschungsgebiete. Im Anschluss daran zeichnet Michael Kahr ein detail- und facettenreiches Bild der Institutionalisierung der Jazz-Ausbildung in Graz in den 1970er Jahren und deren innere und äußere Rahmenbedingungen. Ingeborg Harer setzt sich in ihrem Beitrag umfassend mit Vera Schwarz, ihrem Leben und Wirken an der (heutigen) KUG, vor allem aber ihrem gesellschaftlichen Beitrag, sich der „unrühmlichen Vergangenheit des Kulturlandes Österreich anzunehmen„, auseinander. Danach beleuchtet Elisabeth Nutzenberger die Gründung und den Aufbau des (ersten) Instituts für musikalische Grundlagenforschung an der Universität Mozarteum. Hildegard Fraueneder beschäftigt sich in einem detaillierten Beitrag mit Hintergründen, Zielen und Resonanzen der Gründung der Abteilung für Kunsterziehung an der damaligen Hochschule Mozarteum, umrahmt von schwierigen räumlichen Bedingungen skandalisierten Berufungsentscheidungen und Finanzierungsstreitigkeiten. Im letzten Beitrag entwerfen Thomas Ballhausen und Eugen Banauch (nicht nur) einen Ausblick für künstlerische Forschung als künstlerische Forschung, sondern geradezu ein Plädoyer dafür: „Kunst soll nicht als klassische Wissenschaft behauptet werden, sehr wohl aber als Option der Forschung, des Fragens und Herausfindens„. Dies erfolgt anhand der Beschreibung sieben konkreter Beispiele der Hochschule Mozarteum auf Makro- und Mikroebene.

Den Abschluss des Buches bildet ein umfangreicher Abschnitt mit Quellen und (Zeit-)Dokumenten, insb Inaugurationsreden und Interviews. Das gesamte Werk ist durchzogen von sorgfältig ausgewählten, passenden und spannenden Bildmaterialien, die dem Leser den historischen Zugang erleichtern und den Lesefluss deutlich auflockern.

Fazit: Insgesamt bildet das Buch einen alle wesentliche Aspekte abdeckenden, praktisch-historischen Zugang zur Hochschulwerdung der heutigen Kunstuniversitäten; dem Team der Autor*innen ist durchgehend ihre Vertrautheit mit der Materie und der (nicht nur) gesellschaftlichen Stellung der Kunsthochschulen im historischen Kontext anzumerken. Ein Lesevergnügen, das aufgrund der vielen Daten, Zahlen, Fakten und Namen zweifellos einiges an Aufmerksamkeit abverlangt, aber im Gegenzug die jüngere Geschichte mit vielen interessanten kultur- und hochschulpolitischen Fakten lebendig werden lässt.